Thema des Monats September: "Mit der Trauer umgehen lernen"

Zusammengestellt von Mag. Leonie Rath, Klinische und Gesundheitspsychologin bei der Krebshilfe Steiermark.


Mit der Trauer umgehen lernen

Ein geliebter Mensch verstirbt. Sie trauern. Oder lieben Sie? Oder tun Sie gar beides?

„Warum?“ – „Wie soll ich das nur überstehen?“ – „Wird es je wieder besser?“

Obwohl Trauern ein höchst individueller Prozess ist, so sind einige wichtige Punkte hervorzuheben.

-    Trauer gehört zu unserem Leben. – Trauer ist keine Krankheit!
-    Trauer ist eine lebenswichtige Reaktion!
-    Trauer ist eine spontane, natürliche, normale Reaktion unserer ganzen Person auf Verlust, Abschied und Trennung!
-    Trauer erfasst den ganzen Menschen und berührt all seine Lebensbereiche!
-    Trauer wird individuell ganz unterschiedlich erlebt und gestaltet!
-    Trauer hat viele Gesichter!

TRAUER IST LIEBE

Den einen, allgemeingültigen richtigen Umgang mit einem Verlust gibt es nicht. Oftmals hört man als Betroffener, dass man die Trauer nach einem gewissen Zeitraum abgeschlossen haben und man wieder am „normalen“ Leben teilnehmen solle. Es gibt demnach quasi einen festgelegten Zeitraum, der Trauer beinhalten darf, alles darüber hinaus sei zu viel. Diese Ratschläge haben sicherlich bereits viele Menschen ihren trauernden Mitmenschen gegeben, sicherlich nicht aus bösem Willen, sondern häufig aus eigener Betroffenheit oder Unverständnis.

Diplompsychologe Roland Kachler hat neue Wege in der Trauerarbeit entwickelt. Zentraler Punkt ist nicht das Loslassen des/der Verstorbenen, sondern die Liebe zu dieser Person. Er schreibt, dass man im Trauerprozess nicht nur erlebt, dass sich die Liebe für den/die Verstorbenen gegen den Tod durchsetzen muss, sondern auch, dass sie eine neue, innere Beziehung zum geliebten Menschen findet.

In seinem Buch „Damit aus meiner Trauer Liebe wird – Neue Wege in der Trauerarbeit“ beschreibt er unter anderem die möglichen Reaktionen auf den Tod eines geliebten Menschen. Es wird erläutert, dass eine Verweigerung der Realität zunächst sinnvoll sein kann. Die erste Zeit nach dem Verlust eines geliebten Menschen ist häufig eine Zeit des Schocks, der Organismus stellt auf Modus des Funktionierens um, es geht darum, die schreckliche Zeit zu überleben, das Fühlen ist regelrecht ausgeschaltet. Oftmals ist diese Gefühllosigkeit ein Schutz vor Schmerz. Kachler weist darauf hin, dass der Zustand des Nichtfühlens und Nicht-wahrhaben-Wollens bei schweren Verlusten viel länger dauern kann, als in den üblichen Trauerratgebern angegeben wird. Oftmals fängt die bewusste Trauerzeit erst nach dem ersten Todestag, also im zweiten Trauerjahr, an.  Auch fehlen Trauernden häufig die Worte, um das Unbegreifliche zu formulieren. Kachler rät folgendes („Damit aus meiner Trauer Liebe wird“, S. 21):

Erlauben Sie sich, all das, was in Ihnen an Bildern und Fragen zum Sterben und Tod des Angehörigen aufbricht, immer wieder in Gedanken durchzugehen. Erzählen Sie allen Ihren Angehörigen, Freunden und Bekannten. Zögern Sie nicht, es immer wieder mit neuen Details zu erzählen. Wenn Sie unsicher sich, ob das für die anderen passt, fragen Sie: „Ist es in Ordnung, wenn ich es dir erzähle?“
Wenn andere fragen oder Genaueres wissen wollen, dann nehmen Sie es als Ihre besondere Chance, die Sprache wiederzufinden.


Das Schreckliche nicht wahrhaben zu wollen ist ein Abwehrmechanismus der Seele, die Liebe will mit allen Mitteln weiter lieben, und zwar den realen, lebendigen Menschen. Mitunter verweigert sie aus diesem Zweck die Realität. Neben diesem Schock herrscht der Schmerz vor – auch wenn der Verlust noch nicht bewusst realisiert wird, so ist sich unsere Seele über die Tatsache im Klaren. Seelischer Schmerz kann sich auch als körperlicher Schmerz zeigen, es gibt keinen größeren Schmerz, als ganz Schmerz zu sein.  Den Schmerz ausdrücken zu lernen ist ein wichtiger Teil der Trauerarbeit.
Unabhängig davon, wie sehr Sie Trauer oder wie groß der Schmerz auch ist, die Liebe wird nicht ganz ausgeblendet werden, sie zeigt sich in kleinen Gesten – manche Trauernde legen ihrem geliebten Menschen selbstgeschrieben Briefe mit in den Sarg, stellen eine Kerze oder ein Bild für die Person auf.

Trauer lässt sich nicht regeln. Bei manchen Trauernden herrscht Wut vor, bei anderen der körperliche Schmerz oder die Liebe zum Verstorbenen. Trauer muss jede/r Betroffene auf seine ganz individuelle Weise durchleben. Es gibt keine Abkürzungen, kein Ausweichen, und letztlich gibt es auch kein Ende. Muss es auch nicht.

Es muss beachtet werden, dass jeder Mensch individuell trauert und die zuvor beschriebenen Phasen in dieser Weise nicht auf jeden Menschen zutreffen können. Der Trauerprozess kann manchmal auch mehrere Jahre dauern und von Rückschlägen gekennzeichnet sein.  
Oft wird angenommen, dass Gefühle der Trauer nur dann legitim sind, wenn ein Mensch verstirbt. Vielleicht ein naher Angehöriger, vielleicht die Partnerin oder ein geliebtes Kind. Dies sind dramatische Szenarien, welche eine große emotionale Belastung darstellen können.
Neben dem Verlust eines geliebten Menschen können auch andere Situationen zu Gefühlen der Trauer führen.
Eine potentiell existenzbedrohende Erkrankung wie Krebs kann heftige Trauerreaktionen verursachen. Dies liegt mitunter am Bewusstwerden der eigenen Endlichkeit, des möglichen Verlusts der Eigenständigkeit, des gewohnten Alltags oder der körperlichen Unversehrtheit.
Doch nicht nur der/die KrebspatientIn selbst, auch Angehörige und Freunde sind von der Erkrankung betroffen, auch für sie kann die Diagnose ein „Sturz aus der normalen Wirklichkeit“ bedeuten.

Personen, welche Trauernde unterstützen und begleiten, fühlen sich manchmal in dieser Rolle nicht wohl, besonders dann nicht, wenn sie noch keine eigenen Erfahrungen mit dem Trauern gemacht haben.
Es ist sehr wichtig, dem Trauerprozess seine Zeit zu lassen. Das bloße Da-Sein für den/die Trauernden und die stumme Zuwendung reichen oft völlig als Unterstützung aus. Die Bereitschaft, zuzuhören und dem/der Trauernden die Möglichkeit zu geben, über seine/ihre Gefühle reden zu können sind bedeutende Hilfestellungen im Prozess der Trauerverarbeitung.

 

Quellen:
•    Kachler, Roland (2010), Damit aus meiner Trauer Liebe wird – Neue Wege in der Trauerarbeit. Freiburg im Breisgau: KREUZ VERLAG
•    Specht-Tomann, M. & Tropper, D. (1998). Zeit des Abschieds, Sterbe- und Trauerbegleitung. Düsseldorf: Patmos Verlag
•    Harvey, G. (2008). Bewusst trauern für Dummies. Weinheim: Wiley-Vch Verlag