ICH, DER KREBS UND DU - Paarbeziehungen vor dem Hintergrund einer onkologischen Erkrankung.
Zusammengestellt von Mag. Dr. Ursula Kümmel, Klinische und Gesundheitspsychologin, Arbeitspsychologin und Wahlpsychologin bei der Krebshilfe Steiermark.
In Österreich leben rund 335.000 Menschen mit der Diagnose Krebs – einer Krankheit die auch heute noch schockiert und verängstigt wie kaum eine andere. Durch Fortschritte der Medizin stellt eine Krebserkrankung heute kein sicheres Todesurteil mehr dar. Daher stehen viele der Herausforderung gegenüber, mit einer chronischen Erkrankung und deren Folgen leben zu müssen. Dies fordert oft von der gesamten Familie massive Änderungen im alltäglichen Leben.
Man weiß mittlerweile, dass Angehörige von KrebspatientInnen die Auswirkungen der Erkrankung auf die Familie in gleicher – oftmals auch in intensiverer - Form erleben als Betroffene selbst. Aus diesem Grund werden PartnerInnen zunehmend in der Betreuung berücksichtigt. Im Verlauf einer Krebserkrankung ist ein Paar mit einer Vielzahl an Herausforderungen und Anpassungserfordernissen konfrontiert. Rollen müssen neu verteilt, Ziele und Pläne angepasst, körperliche Veränderungen akzeptiert werden – all dies benötigt Zeit und Geduld. Es erscheint wenig überraschend, dass sich die jeweiligen psychischen Verfassungen in einer Wechselwirkung beeinflussen.
Aspekte wie Intimität, Zärtlichkeit und Sexualität sind wesentliche Teile einer Partnerschaft. Auch vor dem Hintergrund einer Krebserkrankung verlieren diese nicht an Bedeutung unabhängig von Alter oder Schweregrad der Erkrankung. Die Ansicht an Krebs erkrankte Personen haben kein Bedürfnis nach Sexualität und Intimität ist falsch: Umfragen zeigen, dass 80% gerne mit ExpertInnen darüber sprechen würden – 91% trauen sich aber nicht! Jedoch kann gerade die intakte Partnerschaft mit all ihren Facetten einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität beitragen.
Immer wieder tauchen auch Missverständnisse und Vorurteile über Krebs und Therapien auf, die Sexualität hemmen können. Ist Krebs ansteckend oder durch Körperkontakt übertragbar? Macht Strahlentherapie radioaktiv? Vergiftet die Chemotherapie meinen Partner/meine Partnerin? Alle drei Fragen können klar mit „Nein“ beantwortet werden!
Durch die Diagnose erleben Betroffene und Angehörige intensive Emotionen wie Wut, Trauer oder Angst und zeigen sich geschockt. Wenn allmählich der Alltag wieder zurückkehrt, wächst oftmals das Bedürfnis nach Intimität und Sexualität. Neben Unsicherheiten, inwieweit sexuelle Aktivität aus medizinischer Sicht zulässig oder vom Gegenüber gewünscht ist, sind Paare oftmals mit veränderter Körperlichkeit und damit einhergehenden sexuellen Problemen konfrontiert.
Untersuchungen können als beschämend oder unangenehm erlebt werden und so den partnerschaftlichen Kontakt hemmen. Gedanken wie „Ohne Brust bin ich keine richtige Frau“ oder „Meine Frau soll mich mit Stoma nicht nackt sehen“ führen unausgesprochen zu Unsicherheit, Reduktion des Begehrens und sexuellem Rückzug. Eine Krebserkrankung kann das Vertrauen in den und den Bezug zum Körper erschüttern. Nach der Behandlung können Unsicherheit und Angst vor dem ersten sexuellen Kontakt bestehen. Welche Berührungen sind angenehm? Werden Schmerzen auftreten? Letztlich stellt häufig gerade die partnerschaftliche Kommunikation die größte Herausforderung dar, insbesondere wenn Sexualität ein Tabuthema ist. So stehen Paare im Zuge einer Krebserkrankung vor der Frage: Was hilft uns?
Reden Sie miteinander!
Kommunikation und Ehrlichkeit sind wichtige Säulen innerhalb einer intakten Partnerschaft. Gerade in Lebensphasen, in denen sich vieles verändert, ist ein offenes Gespräch oft hilfreich. Die Beziehungsqualität lässt sich dadurch erhalten oder steigern. Generell wird inallen Krankheitsphasen ein Kommunikationsstil empfohlen, der sich mit einer vorsichtigen Offenheit beschreiben lässt.
Machen Sie sich schlau!
Informationen und Wissen über die Erkrankung und deren Behandlung können Ängsten und Unsicherheiten entgegen wirken. Paare sollte sich über ihre aktuellen Wünsche und Bedürfnisse, sowie Veränderungen diesbezüglich immer wieder austauschen, um auch mit schwierigen Situationen umgehen zu können.
Seien Sie selbstbewusst!
Auch wenn die Krankheit Spuren hinterlassen hat, ist Selbstakzeptanz bedeutsam. Jeder Mensch – ob gesund oder krank– hat „Mängel“. Um sich einander körperlich wieder nähern zu können, ist es notwendig, den veränderten Körper und sich selbst zu akzeptieren sowie ein neues Bewusstsein für sich und ein positives Gefühl zum eigenen Körper zu entwickeln.
Pflegen Sie Ihre Beziehung!
Wenn das Bedürfnis nach Sexualität in den Hintergrund tritt, sollten andere Formen der Intimität zugelassen werden. Die Nähe zueinander, physische und psychische Zärtlichkeit, Liebkosungen, Wertschätzung und Aufmerksamkeit sind häufig in schwierigen Situationen von ganz besonderer Bedeutung!
Es gibt kein Richtig und kein Falsch!
Vielleicht haben Sie keine Lust mehr auf Sex, fühlen sich beim Geschlechtsverkehr unwohl, schämen sich oder haben Schuldgefühle. In diesen Situationen ist wiederum partnerschaftliche Kommunikation gefragt, um ein Verstehen, Akzeptieren und Bewältigen zu ermöglichen. Neben Geschlechtsverkehr gibt es eine Vielzahl an anderen erotischen Begegnungen (Massagen, erotische Fantasien, Hilfsmittel usw.).
Befriedigen Sie sich selbst!
Vielleicht ist es einfacher, seine Sexualität alleine wiederzufinden. Masturbation ist eine natürliche Möglichkeit, sexuelle Lust zu erleben und die Reaktionen des eigenen Körpers wieder zu entdecken, neu oder besser kennen zu lernen. Betroffenen kann hilfreich sein zunächst alleine zu experimentieren, inwieweit sexuelle Empfindungsfähigkeit ausgeprägt ist, welche Bedürfnisse vorhanden sind, welche Körperstellen auf Zärtlichkeit reagieren und wie ein Orgasmus erlebt werden kann.
Seien Sie mutig!
Paare sollten den Mut aufbringen, über Sexualität ungehemmt zu sprechen. Eine Krebserkrankung kann auch zum Anlass genommen werden, neue Variationen der Sexualität (Fantasien, Stellungen, Hilfsmittel,...) auszuprobieren. Manche krankheitsbedingten Veränderungen stellen besondere Herausforderungen dar, da sie Sexualität einschränken können (künstlicher Darmausgang, Operationen am Geschlechtsorgan etc.). In diesen Situationen hilft Kreativität und Offenheit für Neues.
Sexualität ist die Grundlage unseres Lebens und somit das Natürlichste und Normalste des menschlichen Daseins. Bedürfnisse und Wahrnehmungen können in diesem Zusammenhang äußerst unterschiedlich sein. Alles ist erlaubt – solange es beide Teile als lustvoll und freiwillig erleben! Dies trifft auch im Falle einer Krebserkrankung zu. Denn: Paare, die die partnerschaftlichen Herausforderungen einhergehend mit Krebs meistern, berichten von einem gemeinsamen Wachsen, von größerer Nähe, mehr Verbundenheit sowie einer Stärkung und Vertiefung der Partnerschaft.
„Eine schwere Zeit ist wie ein dunkles Tor. – Trittst du hindurch, trittst du gestärkt hervor."
(Hugo von Hofmannsthal)
Quellenverweise:
Hartlapp, J. & Zettel, S. (1996). Krebs und Sexualität: Ein Ratgeber für Krebspatienten und ihre Partner. St. Augustin: Weingärtner Verlag.
Kümmel, U., Blach, C. & Jäger, K. (2013). Ich, der Krebs und du – Paarbeziehungen vor dem Hintergrund einer onkologischen Erkrankung. Psychologie in Österreich. Wien: Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen.
Österreichische Krebshilfe (2012). Sexualität und Krebs. Informationsbroschüre. Wien.
Zettl, S. (2000). Krankheit, Sexualität und Pflege. Hilfestellungen für den Umgang mit einem Tabu. Stuttgart: W. Kohlhammer
GmbH.