Thema des Monats September: Sexualität und Krebs

Zusammengestellt von Mag. Kerstin Rauter, Klinische und Gesundheitspsychologin sowie Psychotherapeutin bei der Krebshilfe Steiermark.
 

KREBS UND SEXUALITÄT

Schon eine Krebserkrankung per se stellt Paare vor große Herausforderungen.
Kommt noch das Thema Sexualität hinzu, dass ohnehin nach wie vor im Bezug auf Erkrankungen tabuisiert wird, dann wird die Sache ganz schnell ganz schön kompliziert.

Buddenberg hat 1965 die sehr lapidare, jedoch oftmals treffende Aussage über Krebs in der Partnerschaft getroffen „Gute Ehen werden besser, schlechte Ehen, schlechter.“
Das bedingt wohl der Umstand, dass sich Krebs, wie eine Affäre, ein Dritter, in die Beziehung drängt und unheimlich viel Aufmerksamkeit braucht.
Und häufig kommt es dann zu einem gruppendynamischen Effekt: Zwei gegen einen. Diese „dritte Rad am Wagen“ Konstellation kann vielfältig sein: Der Patient mit Krebs fühlt sich vom Gesunden unterverstanden. Der Patient mit dem Arzt, gegen die Krebserkrankung oder Angehörige haben das Gefühl, dass sie kaum mehr Bedeutung haben, angesichts des Raumes, die die Krebserkrankung der Betroffenen einnimmt, etc.
Wie auch immer sich die Verhältnisse darlegen, einer bleibt oftmals mit einer empfundenen Einsamkeit zurück.

Auch werden onkologische Erkrankungen immer unterschiedlich verarbeitet und häufig trifft das Stereotyp zu, dass Männer sich weiterhin so verhalten, als wäre nichts geschehen und sich um die Erhaltung der vermeintlichen Normalität bemühen, während Frauen sich aussprechen möchten, ihren Emotionen Raum geben, was natürlich Zündstoff für jede Beziehung bietet.
Beides hat mit der Reduktion der wahrgenommenen Ängste zu tun. Männer brauchen den Alltag als Sicherheit, für Frauen wirkt das Reden über die Erkrankung und die daraus resultierenden Gefühle wie ein Überdruckventil. Aber was, wenn nun der Mann seine Ruhe haben möchte, um nicht in Unsicherheit zu geraten und Frauen zur Erlangung von Stabilität darüber sprechen möchten. Das kann natürlich zu Konflikten in einer Partnerschaft führen, die wie man weiß, das Sexualleben nicht erleichtern.

Generell hat Sex während der akuten Krankheitsphase für die meisten wenig Bedeutung. Aber, falls die Erkrankung überstanden ist, die Krebserkrankung in Remission, die Behandlung abgeschlossen oder wenn in einer Palliativen Situation, die Lebensqualität gut genug ist, dann werden diese sehr intimen Fragen wichtiger.
Spätestens jetzt haben KrebspatientInnen den Wunsch, behandelnde OnkologInnen würden sie auf dieses, doch für viele noch schambesetztes, Thema ansprechen. Und umgekehrt denken sich viele OnkologInnen, wie verschiedene Studien zeigen, dass wenn das Thema Sexualität für ihre PatientInnen wichtig wäre, dann würden sie dies wohl in den Kontrollen zum Thema machen.
Fakt ist, oft bleibt es ein Tabu, unausgesprochen, gehrend, lähmend.

Dies kann natürlich auch in Beziehungen passieren. Man nennt das gegenseitige Schonverhalten, dass oft zu einer Distanzierung zwischen den Partnern führt „protective buffering.“ Nach der Devise: „Ich sag nichts, um den anderen in keine schlechte Stimmung zu versetzen“.
Folge: Jeder bleibt für sich allein.
Der oder die Angehörige berichtet nichts von seinen bzw. ihrem sexuellen Verlangen, weil er oder sie denkt, dies wäre egozentrisch, rücksichtslos und triebgesteuert, wenn er oder sie den ohnehin schon so geforderten Partner auch noch mit diesen Wünschen konfrontiert. Die KrebspatientInnen selbst fühlen sich häufig durch den Verlust der körperlichen Liebe oder Intimität noch stärker im Selbstwert reduziert. Nun kommt der Stressfaktor hinzu, keine richtige Frau oder kein richtiger Mann mehr zu sein.
Dies passiert besonders häufig bei Operationen, Bestrahlungen des kleinen Beckens, wie beim Prostata-, Cervix-, Vulva-, Endometrium-Karzinom oder beim einem Mamma-Karzinom.
Das Körperbild leidet unter der Veränderung, es können Gefühlsstörungen, Erektionsstörungen oder auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auftreten.
Auch Inkontinenz oder ein dauerhaftes bzw. vorübergehendes Stoma, machen die körperliche Erotik nicht einfacher.
Aus Rücksicht ziehen sich PartnerInnen zurück, wollen ihre Liebsten nicht verletzen, ihnen Schmerzen zufügen, was wiederum den Teufelskreis der Wertlosigkeit und der Einsamkeit verstärkt.

Auch ein anderes Problem wird häufiger bei Männern beschrieben, die Partner einer an Brustkrebs erkrankten Frau sind. Wurde eine Mastektomie (Amputation der Brust) durchgeführt, möchten diese häufig beim ersten Sex nach der OP auf keinen Fall versagen, um nicht ihre Frau mit diesem veränderten Aussehen, noch mehr zu verletzten oder verunsichern. Dieser Druck führt dann bei diesen gesunden Männern häufig zu erektilen Dysfunktionen, ohne körperliche Ursache, was natürlich für alle beteiligten ein Drama ist.

Auch Annäherungsversuche von Seiten der Erkrankten werden immer wieder von den Gesunden gerade in der Erkrankungsphase oder gerade erst nach der Behandlungsphase zurückgewiesen, was für die onkologischen PatientInnen oft zum Beziehungsproblem wird. Hier nicht nach den Gründen zu fragen führt dazu, dass sich KrebspatientInnen abgelehnt fühlen, während die Gesunden eigentlich aus Rücksichtsnahme handeln wollen. Diese wollen nicht ihren PartnerInnen körperlichen Schmerz zufügen, nicht, dass der erkrankten Person glaubt, auch noch diesen Wunsch erfüllen zu müssen, sondern sich ganz auf sich konzentrieren kann, nicht ichbezogen und selbstsüchtig wirken.

Liebe LeserInnen, sie sehen das Problem Sexualität und Krebs ist mannigfaltig. Weil allein schon das Thema Sexualität vielen Mythen unterliegt.
Sexualität ist nicht nackt. Sie ist mit riesigen und faustdicken Erwartungen bekleidet (Adolf Muschg).

In diesem Sinne möchte ich Sie dazu ermutigen, die Sprachlosigkeit zu überwinden, offen ihre Bedürfnisse und Wünsche anzusprechen und auch diese von ihrem Partner, ihrer Partnerin zu erfragen. Es wird vielleicht nicht immer eine leichte unbeschwerte und spontane Sexualität möglich sein, aber es lassen sich sicher Möglichkeiten finden, damit das Geschlechtsleben in der Beziehung noch genussvoll möglich ist.
Scheuen Sie sich nicht den Arzt bzw. die Ärztin, ihres Vertrauens, darüber auszufragen. Sie wissen ja, auch die tun sich schwer mit dem Thema und oder nutzen Sie die Möglichkeit einer (Paar-) Beratung in einer der Krebshilfe-Beratungsstellen in der Steiermark.


PS: Bezüglich jüngerer PatientInnen, die auch noch ihre Fertilität und Reproduktionsfähigkeit mit denken müssen, kann in diesem Artikel nicht eingegangen werden. Aber die Krebshilfe Steiermark ist darum bemüht, auch die Kryokonservierung für onkologische Patientinnen in Zukunft als Grundrecht zu etablieren.